Wir freuen uns, INSIGHT – ARTWORKS IN THE SPOTLIGHT #2, Malereien auf Papier von James Bishop zu präsentieren. Die ausgewählten vier Papierarbeiten von James Bishop, entstanden zwischen 1956 und ca. 1993, geben einen gültigen Einblick in ein künstlerisches Werk, das geprägt ist durch das Insistieren auf der Malerei.
Insight #2 – Malereien auf Papier von James Bishop
James Bishop spricht bei seinen Papierarbeiten dezidiert nicht von Zeichnungen, sondern von Malereien auf Papier. Wie bei seinen Gemälden, die zwischen etwa 1964 und 1986/87 entstanden, arbeitet er auch auf Papier mit Ölfarben. Diese werden in mehreren Schichten aufgetragen und dringen – anders als auf Leinwand, wo sich übereinanderliegende Farbhäute bilden – unterschiedlich tief ins Papier ein. Durch stellenweise Überlagerungen entstehen so unterschiedlich dichte Farbbereiche mit diffusen Randzonen.
In diese verschiedenen Farbschichten zeichnet Bishop mit Farbstift, Bleistift und Kreide gezogene Linien ein, die sich zu architektonisch anmutenden Konstruktionen verbinden.
Die annähernd quadratischen Strukturen mit horizontalen und vertikalen Unterteilungen sind jedoch nicht Abbilder realer Architekturen. Vielmehr sind sie Erinnerungen an Sichtbares – an Gebäude, Fassaden oder Fenster in James Bishops französischer Nachbarschaft.
Immer wieder bricht James Bishop dieses Balken-System aber auf und dekliniert die Kombination aus Horizontale, Vertikale und Diagonale losgelöst von architektonischen Zuschreibungen durch. Dabei entstehen Werke mit freier Linien- und Pinselführung, die sowohl ganz abstrakte als auch landschaftliche Figurationen erlauben.
«Die Bilder, die funktionierten, glichen einer fiktiven Konstruktion von Balken (oder von Bändern als Balken), die aneinanderstossen oder einander überdecken, einem unsicheren Gerüst.»1
Untitled, n.d., zeigt, wie James Bishop seine Balken-Konstruktionen – oder, wie er selber sagt «unsicheren Gerüste» – immer wieder mit feinen, wilden Strichen umspielt. Diese bewegen sich eigenständig zwischen den Linien und Farbzonen und können auch abgerundete Formen umfassen. Solche Formen erinnern an die Linien und Pinselbewegungen seiner Papierarbeiten aus den späten 1950er-Jahren. Einmal erarbeitete Bildfindungen stehen dem Künstler also jederzeit zur Verfügung.
Die genaue Betrachtung von Untitled, n.d., macht deutlich, dass das Liniengerüst nicht vollständig auf der Farboberfläche aufliegt, sondern aus den Tiefen des Farbraums an die Oberfläche dringt. Bishop taucht diese zwischen Abstraktion und Figuration oszillierenden Linienkonstruktionen in ein Sfumato2 und lässt sie bewusst in einem Zustand der Unschärfe. Er stellt sich so dezidiert gegen deren endgültige Verfestigung3.
Zwischen Linien und Farben entsteht so eine Art Doppelbewegung von Versinken (der Farbe im Papier) und Auftauchen (von Strukturen aus dem Farbraum), die einer Atmung gleich die Malereien auf Papier zu bewegen scheint. Und es entsteht ein Resonanzraum, der sich zwischen Oberfläche und Bildtiefe aufspannt.
Die Oberfläche selbst wird durch die unterschiedlich starken Stift- und Kreidestriche sowie die mal pastos, mal glänzend aufgetragene Farbmaterie zu einem haptischen Erlebnis.
1) Bishop über seine «neuen» Bilder, ab etwa 1963/1964, mit den Massen 195 x 195 cm, in: «Künstler sollte man weder sehen noch hören. James Bishop im Gespräch mit Dieter Schwarz», in: James Bishop, Kunstmuseum Winterthur, Galerie national du Jeu de Paume Paris, Westfälisches Landesmuseum Münster, hrsg.v. Dieter Schwarz, Düsseldorf: Richter Verlag 1993, S. 13-21, S. 16.
2) Michael Semff: «Formen, Farben, Echos, Düfte. Nahe oder Ferne, Helle oder Dunkle Dinge.* Malereien auf Papier von James Bishop», in: James Bishop. Malerei auf Papier / Paintings on Paper, Staatliche Graphische Sammlung München, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, The Art Institute Chicago, Düsseldorf: Richter Verlag 2007, S.23-33, S. 31.
3) Heinz Liesbrock: «Architekturen des Gefühls. James Bishops Malereien auf Papier», in: James Bishop. Malerei auf Papier / Paintings on Paper, Staatliche Graphische Sammlung München, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, The Art Institute Chicago, Düsseldorf: Richter Verlag 2007, S. 59 – 68, S. 67.
«Für [James Bishop] steht fest, dass die Körperanalogie von Material und Malprozess eine hervorragende Errungenschaft dieser Kulturtechnik darstellt, so wie diese sich in der westlichen Tradition entwickelte. Malerei hat mit Oberflächen und Berührung zu tun, die Tätigkeit des Malens ist eine Geste, die im Körper beginnt und im ästhetischen Objekt Präsenz und Verwirklichung manifestiert.»4
4) Gianfranco Verna in: Galeriebrief 5/2017, zur Ausstellung Paintings 1969–1978 / Paintings on Paper 1956–2016, vom 7. Oktober bis 18. November 2017.
Bei den oftmals über eine lange Zeit entstandenen Malereien auf Papier sind die Farben nicht scharf voneinander getrennt, sondern laufen in bewegte Peripherien aus. Die Randzonen schaffen so feine Übergänge und Momente der Unschärfe. Sie machen aber auch – wie bei Untitled, n.d. – den Aufbau der Werke sichtbar. Denn sie geben den Blick auf tiefere Farbschichten oder das Papier frei. So wird die Eigenfarbe des Papierbogens Teil der Komposition. Bei Untitled, n.d., ist das gelbe Papier als feine, partielle Umrandung der mittigen Struktur sichtbar. Ebenso wie die grundierte Leinwand, die der Künstler als gültige Bildfläche anerkennt, bleibt so auch das Papier als Ort des Werkgeschehens sichtbar.
Die meist gebrochen weissen oder gelblichen Papierbögen, die mit Ausnahmen oft nicht grösser als 21 x 21 cm sind, stammen aus unterschiedlichen Quellen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um wiederverwendetes Material und sie entsprechen Bishops Farbpalette. Erdige Brauntöne, Ocker, gebrochenes Weiss, Gelb, selten Blau, Olive sowie Rottöne und, ab den 1970er-Jahren, immer wieder Grau in unterschiedlichen Schattierungen bestimmen seine kleinen Formate. Es ist eine rauchige Bildwelt, zurückhaltend, still und eigenständig.
Der Grossteil von James Bishops Papierarbeiten hat keinen Titel und ist nicht datiert. Der Künstler ist nicht interessiert an einer Entwicklungsgeschichte, die an einer verbindlichen Datierung oder Titelgebung festgemacht wird. Vielmehr lassen sich Farbauftrag, Tonalität, spezifische Verhältnisse, ähnliche
Linienkonstruktionen, Blattgrössen oder bestimmte Figurationen zu unterschiedlichen Schaffenszeiten miteinander in Verbindung bringen. In diesem fluiden Oeuvre haben, neben einer Anzahl Collagen aus den frühen 1970er-Jahren, zwei Werkgruppen eine etwas gesonderte Stellung.
Die eine umfasst frühe Papierarbeiten, die zwischen 1956 und etwa 1960 entstanden sind. Diese fünf Jahre waren eine entscheidende Zeit im Leben von James Bishop. 1957 reiste er für mehrere Monate durch Europa. 1958 liess er sich schliesslich, wie andere amerikanische Künstler auch, in Paris nieder. Dort fand im Juni 1961 in der nicht kommerziellen Galerie du Haut Pavé seine zweite Ausstellung statt. Obwohl weit weg von New York, interessierte sich Bishop mehr für die amerikanische zeitgenössische Kunst des Abstrakten Expressionismus als für aktuelle Tendenzen in Europa. Er fand in Europa aber Bezugspunkte in der Kunstgeschichte, so im italienischen Quattrocento oder bei Henri Matisse.
In dieser Zeit entstanden Papierarbeiten wie Untitled, 1956. Sie sind gekennzeichnet von einem noch stark erkennbaren Pinselduktus, einer gestischen Formensprache und geschwungenen abgerundeten Formen. Bereits hier ist es die Kombination von opaken und transparenten Farbzonen, die den Bildaufbau bestimmt. Die Flächen sind jedoch noch mehrheitlich als ein bewegtes Nebeneinander angeordnet. Schon in dieser frühen Zeit legte Bishop seine Farbpalette fest. Grau-, Braun-, Rot- und auch Blautöne bleiben für seine Malereien auf Papier bestimmend. Und während Untitled, 1956 rein malerisch ist, weisen einige dieser frühen, landschaftlich anmutenden Blätter bereits Linienkonstruktionen auf, die sich in den späteren architektonischen Werken wiederfinden.
Eine zweite Werkgruppe mit Sonderstellung bilden die sogenannten Roman Numbers, die in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren immer wieder vorkommen. Wie der inoffizielle Titel verrät, handelt es sich dabei um ein Formenvokabular aus X, V und I des römischen Zahlensystems. Diese treten teilweise im Verbund, wie bei Untitled, 1993, oder als isolierte Ziffern auf. Bishop integriert sie mal als Elemente geschichteter Farblasuren, mal als ausgesparte Zonen opaker Farbflächen. Dabei sind die samtigen Farbflächen kompakt und mit ungewohnt stark artikuliertem Pinselstrich aufgetragen.
Untitled, 1993 zeigt anschaulich, wie Bishop bemalte und unbemalte Bildzonen in ein Spannungsverhältnis bringt. Die Roman Numbers treten hier als leere Papierflächen zwischen graubraunen Farbfeldern in Erscheinung.
Die Ziffern sind nicht vollständig ausformuliert, sondern laufen in den unbemalten Papierrand aus. Wo dabei die Ziffer aufhört und das Blatt beginnt, ist fliessend. Erst der Blattrand grenzt Ausdehnung und Erweiterung ein. So wird bei Untitled, 1993 deutlich, dass sich James Bishops Papierarbeiten immer innerhalb eines klar abgesteckten Raumes ereignen, nämlich auf dem präzise zugeschnittenen Papierbogen. Vergleichbar mit einer Kippfigur ist so weder zwischen Blatt und Motiv noch zwischen Farbe und Leerstelle definiert, was Figur und was Grund ist. Eine definitive Übersetzung in eine verbindliche Zahl ist nicht beabsichtig.
(Text: Laura Mahlstein)
Insight #2: hier als PDF downloaden
Publikation
James Bishop. Malerei auf Papier
Herausgegeben von Michael Semff & Gianfranco Verna,
mit Texten von Erich Franz, Molly Warnock und Michael Semff;
der Katalog ist in Deutsch und Englisch erschienen;
Sieveking Verlag, München, 2018
ISBN: 978-3-944874-72-2
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